Musik erleben!

MIT DER SPRACHE DER MUSIK

Kurt Pahlen wurde am 26. Mai 1907 in Wien, Österreich, geboren. Seine Eltern waren Rosina Kuhn und Richard Pahlen. Er verstarb am Donnerstag, den 24. Juli 2003 an der Lenk, Kanton Bern, in der Schweiz.

Wenn ich sein Leben betrachte, komme ich direkt in Verbindung mit der Liebe, die die Leute ausdrücken, wenn sie über ihn sprechen, und mit dem Glanz in ihren Augen, wenn Kurt in ihrem Gedächtnis auftritt.
Kurt Pahlen hatte beschlossen, die Sprache der Musik als seine Hauptsprache zu benutzen. Aber sein grosses Wissen war nicht rein intellektuell, sondern von einer liebreichen Kenntnis. Es gab etwas in ihm, das die Herzen berührte. Sicherlich war seine Musikalität vom gleichen Geist und von der gleichen Begabung berührt, wie diejenige eines anderen grossen Künstlers: Richard Pahlen, sein Vater, der verstarb, als Kurt vier Jahre alt war. Richard war ein grosser Liedbegleiter gewesen, und Gustav Mahler betrachtete ihn als seinen besten Interpreten.

Unter Kurts Tugenden kann ich die ungeheure Leichtigkeit hervorheben, sich unter den Leuten zu bewegen. Er genoss eine grosse Popularität. Seine Liebe, seine Musik und sein Auftreten zeigten einen markanten sozialen Aspekt. Er widmete sich der Verbreitung einer Art Musik, die eher zu der raffinierten Welt gehören könnte, wie es im Fall der klassischen Musik ist. Seine Option jedoch war eine einfache, klärende, angenehme aber mächtige Sprache. Er war ein ausgezeichneter Musikologe und Autor von mehr als 60 Büchern, die hauptsächlich auf Deutsch und Spanisch geschrieben wurden. Viele von ihnen wurden in andere Sprachen übersetzt. Diese liebliche Pflege des Sozialen hatte zur Folge, dass seine Bücher leicht zu lesen und zu verstehen sind. Seine Einstellung als Schriftsteller beinhaltete eine grosszügige und solidarische Hingabe.

In der Widmung von der ̈Sinfonie der Welt" schrieb er: "Den unbekannten Musikern, den Nichtverstandenen, den Vorläufern, den Vergessenen, den mühsam Ringenden sei dieses Buch gewidmet, jenen, die trotz allem niemals das Licht aus den Augen verloren haben, das des Menschen grösstem Abenteuer voranleuchtet : dem Schaffen ̈.
Ich verfüge über mehr als 500 Notizblöcke mit Aufzeichnungen jeglicher Art von ihm. Als guter Künstler war Kurt immer am Erschaffen, am Erklären von Fantasien, am Aufzeichnen von Eingebungen, die er mit Worten und Taten umsetzte. Er war sehr charmant und auch ein Träumer, aber einer von jenen, denen es gelang, seine Projekte zu verwirklichen.

Viele Menschen schrieben über Kurt Pahlen, beispielsweise Sergio Vela: "Pahlen hinterlässt eine bemerkenswerte Spur für das Erkennen der Musik dank seinen Oper-Enzyklopädien, seinen Instrumenten, seinen Kinderliederalben der ganzen Welt, seinen pädagogischen Methoden, und vor allem dank seiner großen Schaffenskraft. Es war üblich, dass das Haus seiner Eltern von Strauss, Mahler, Freud besucht wurden. In einer bestimmten Art war Pahlen das Sprachrohr von Wiens Reichtum am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts.“

Oder Raul Lopez: "Ich glaube, dass in Pahlen die grosse Strenge in der Orchesterleitung zusammen mit einer pädagogischen Berufung vorhanden waren, die sich während 50 Jahre in Büchern konstant entwickelt haben, und die nicht nur zur Bildung von Musikern und Musikologie, sondern auch von Kindern beigetragen haben.“

Oder einer von seinen ehemaligen Schülern, der in seinen Kinderchören in Montevideo, Uruguay, gesungen hatte: "Diese Dienstage und Donnerstage meiner Kindheit -ich war schon fast ein Jüngling-, habe ich nicht nur wie so viele andere Kinder singen gelernt, sondern auch ein Lebensvorbild bekommen, Kunst mit Freude und Frische, ohne Anstrengung, aber vor allem mit Rigorosität zu gestalten."

Kurt Pahlen war Doktor der Philosophie und Musikkunde, aber auch Dirigent. Als junger Mensch dirigierte er die Staatsoper Wien sowie viele Konzerte im Nationalradio Österreichs. Er stand am Pult in Mailand, Genf, Bern, Zürich, Paris, Amsterdam, Krakau, Riga, Prag, Budapest, unter anderem. Er war der Leiter des Opernunterrichts im Wiener Konservatorium und Dozent in der Volkshochschule, wo er einen Opernlehrgang gegründet hatte. Als Pädagoge, Dirigent und Chorleiter, Musikologe, Redner, Berichterstatter und Schriftsteller erhielt er hohe Auszeichnungen. Doch immer betrachtete er als den Leitgedanken seines Schaffens und als den Sinn seines Lebens die Musik als Erzeugerin von Veränderungen und als Verbesserungsfaktor im Leben. Kurt Pahlen war ein Humanist.

1939 kam er in Buenos Aires an, um die Filarmonica Metropolitana zu dirigieren. Er lebte mehr als 35 Jahre in Südamerika, sowohl in Buenos Aires als auch in Montevideo, wo er eine Familie mit einer Tochter gründete, die ihm zwei Enkel schenkte. Dort richtete er die Professur der Geschichte der Musik bei der staatlichen "Facultad de Humanidades" ein.

Über diese Etappe seines Lebens schrieb er: "Man kann sagen, dass Südamerika der Höhepunkt meines Kunstlebenlaufs war - es traf mich hart, diese Welt zu verlassen.“

Man kann es gut verstehen!

Kurt verliess nicht nur den Rio de la Plata und seine Leute, sondern eine Reihe von einmaligen und reichen Erlebnissen: Konzerten, Tv und Radio. Er hat das Kulturpanorama von Montevideo und Buenos Aires erschuettert und Choere von Kindern sowie Erwachsenen gebildet.
Auch die Besuche in sehr armen Vierteln bei Fabriken haben nicht gefehlt, indem er die Arbeiter zum Singen eingeladen hat: mit dem einzigen Wunsch, seinen Traum zu verwirklichen.
Diese Intuition von Kurt bewegte Berge...., besser gesagt, Leute:Kinder und Erwachsene. Aber sicherlich in seinem Herzen (und auch in unseren) ist fuer immer die woechentliche Fernsehsendung verblieben: "Todos a cantar!" (Singt alle mit!).
Tausende von Kindern haben mitgemacht. Wollten sie nach vorne kommen und singen, begleitete Kurt sie sofort am Klavier.
Mehr als 8 Jahre lang, jede Woche, 1Stunde lang, Kanal 4 TV Montevideo. "Todos a cantar, y tu, y tu, y tu!" "Singt alle mit, und Du, und Du und Du!"

Einmal in der Schweiz lebend, in Lenk Bern, und vielleicht, weil er "Todos a cantar" aus Montevideo vermisste, hat er die Kinderwoche gegruendet: noch eine Brutstaette von Musikern u Saengern.
Einmal im Jahr verbrachten wir eine Woche zusammen...mitten in der Natur und begleitet von dem morgendlichen Gesang. Nachmittags spuerten wir eine noch sauberere Luft und die Vibrationen der melodischen Stimmen erhoben sich: ein heiliges Treffen zwischen dem Himmel und der Erde.

Wir alle haben mitgesungen; auch die Berge spielten eine grosse Rolle bei dieser Erfahrung, die ich jahrelang mit meinen Soehnen erlebt habe...

Magie? Nein! Arbeit, Disziplin, Ueberzeugung, Liebe fuer die Musik, fuer die menschliche Stimme...

Ich fragte meinen Sohn Mariano, was ihn am meisten von seinem Grossvater beeindruckte. Er antwortete mir, ohne zu zögern: "Seine Fähigkeit als Erzähler." Seit 1943 schrieb er Bücher über Opern, symphonische Musik, Gesang, Geschichte der Musik, Musikologie, usw., unter ihnen ̈El niño y la música ̈ , ̈ Erklär mir die Musik ̈ ,1944, ̈ Musikgeschichte der Welt ̈ ,1947 "Síntesis del saber musical", 1960, "La Opera", 1962, "Sinfonie der Welt ", 1963, "Grandes cantantes de nuestro tiempo", 1973, "Nueva síntesis del saber musical", 1989, ̈Oratorien der Welt ̈, ̈Mensch und Musik ̈, ̈ Die Grosse Geschichte der Musik ̈ 2002.

Seit 1975 bis zum Ende seines Lebens lebte Kurt Pahlen in Zürich, wo er neben vielem mehr in Opernstudios Interessierten das Musiktheater vorstellte, wo er am Radio und im Fernsehen die Zuhörenden mit seinen lebhaften Einführungen begeisterte, und wo er vor dem Fraumünster 1000 singende Kinder dirigierte und zu einem harmonischen Chor verschmolz. Im Berner Oberland an der Lenk, zuhinterst im Simmental, gründete er die Sommerakademie. Majestätisch erhebt sich dort das Gebirge, es rauschen die Wasserfälle, und es gurgeln die Bäche durch sattgrüne Felder. Auf einer Alp sprudeln zwischen Gesteinsschichten Quellen hervor, die durch die nahen Gletscher gespeist werden. Diese besondere Schönheit inspirierte Kurt, ein Ambiente zu schaffen, Raum zu geben, wo sich jedes Jahr für zwei Wochen mehr als 120 Studenten treffen. In diesem magischen und energievollen Ort bestehen nebeneinander die Proben der Musiker mit den Klängen des Dorfes und der Natur wie in einem herrlichen irdischen Halleluja.
Kurt Pahlen gab sich von ganzem Herzen der Arbeit und der Kunst hin, und immer mit einer riesigen Grosszügigkeit, sei es als eingeladener Dirigent von berühmten Orchestern weltweit, sei es als Chorleiter der Handwerker der Fabrik ALPARGATAS in Montevideo, Uruguay. > Nach dem Beenden seiner Vorträge und Konzerte - ich erinnere mich an das Cervantino Festival in Guanajuato, Mexico, oder auch bei der Colomba de Oro nach seinem Referat in der Arena von Verona- aber es könnte auch in einer bescheidenen Wohnung bei einem einfachen Mahl mit einer wenig begüterten Familie sein - strahlte er immer dieses Gefühl aus, dass gerade jetzt und hier, wo und mit wem er auch immer sei, es sich um den besten Augenblick und den besten Ort der Welt handelte. Das war der Glanz, den seine grosszügige Seele dem Leben gab. Sein Herz öffnen und auf der Bühne des Lebens das Sein bestaunen und verehren: "Ich bin, ich existiere, auch für die anderen; sie vergelten mir meinen Abglanz, ich nehme an und ich gebe zurück; es gibt kein Theater ohne Publikum und kein Publikum ohne Theater, und man muss mutig sein, um das Gesicht mit Grösse zu wahren." Die Einkehr während eines seiner Mittagsschläfchen im Wohnzimmer begleitet von Opernmusik liess uns wähnen, als ob wir uns bei einer schönen Soiree am Bodensee befänden: Wir spürten eine Leidenschaft, die allzeit in einer wahrhaften Redlichkeit gelebt wurde, sei es als die prächtigste, die banalste oder die zornigste, aber immer gänzlich im Leben drin und mit voller Präsenz, ohne Unkenntnis; wir beobachteten ein Lächeln aus Wonne, Naivität und geheimem Einverständnis.
Aber auch wenn er körperlich sehr diszipliniert war, Sport trieb, sich mit Schwimmen, der Selbstheilung und dem Naturalismus beschäftigte, auch wenn er eine kosmische Persönlichkeit hatte, die spürte, fortwährend zu existieren, die fühlte, dass ein Leben wie seins 1000 Jahre in Anspruch nähme, auch dann kam der letzte Tag seines Lebens.

Mit 96 Jahren. Er guckte mich aus dem Gesicht eines frechen und charmanten Jungen an, und sprach seinen letzten Satz, der nur für mich bestimmt war:
"Mache Dir keine Sorgen, Yvonne, wir werden den Weg schon finden ...“ Yvonne Pahlen